Nachhaltige Entwicklung – Entdeckungsreise zum Ursprung eines Leitbildes

Vom 12/09/2011
6 Kommentare

Outdoor & NachhaltigkeitNachhaltigkeit ist in aller Munde, kaum ein anderes Wort hat eine erfolgreichere Karriere vorzuweisen. Ob Graswurzelorganisationen, Parteien oder globale Großkonzerne: Alle beziehen sich gleichermaßen positiv auf dieses Konzept. Von A wie Autobahnen bis Z wie Zinserträge von Geldanlagen, heutzutage ist alles nachhaltig. Aber was bedeutet Nachhaltigkeit eigentlich, und wie wurde es zum globalen Leitbild?

Die Wurzeln des Begriffes der Nachhaltigkeit und das grundsätzliche Denken über eine langfristige Nutzung von Ressourcen gehen insbesondere zurück auf Hans Carl von Carlowitz‘ “Sylvicultura oeconomica – Anweisung zur wilden Baumzucht” aus dem Jahr 1713, einer der ersten forstwissenschaftlichen Arbeiten, die eine vorausschauende Nutzung des Holzbestandes forderte (1). Carlowitz nahm einige Kritikpunkte der heutigen Nachhaltigkeitsdiskussion bereits vorweg, indem er Holzverkäufern kurzfristiges, profitorientiertes Denken und eine Nichtbeachtung der langfristigen Folgen ihres Handelns vorwarf. Ein Grund dafür war, dass der französischen Marine unter König Ludwig XIV. zuvor das Holz für neue Schiffe ausging. Dementsprechend forderte er eine Gleichheit von Holzeinschlag und -nachwuchs, damit die Nutzung “immerwährend”, “continuirlich” und “perpetuirlich” stattfinden könne.

Hans Carl von CarlowitzIn diesem Zusammenhang sprach Carlowitz erstmalig von nachhaltender Nutzung des Waldes. Diese wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts als späte Folge der Aufklärung neu gedacht: Der Wald wurde vermessen und statistisch erfasst – er wurde zum Forst. Die in der Folge entworfene “nachhaltende Forstwirtschaft” verbreitete sich länderübergreifend schnell unter dem Laben der “Sustained Yield Forestry”, und beschreibt die Verpflichtung jeder Generation, in hohem Maße Ressourcen für die nächste zu bewahren. Damit erinnert sie schon früh an die heute berühmte Definition des Brundtland-Berichts.

Bis zum Erscheinen des Brundtland-Berichts 1987 war das Wort “Sustainability” jedoch nicht in der englischen Sprache etabliert. Bis dahin kannte das Wörtberbuch lediglich das aus der Forstwirtschaft stammende Wort “sustained”. Nach der Definition des heutigen Oxford Dictionary bedeutet “Sustainable” das Beibehalten einer ökologischen Balance um eine Erschöpfung der Ressourcen zu vermeiden, und wird in der deutschen Literatur nicht ganz eindeutig mit “dauerhaft” (im Brundtland-Bericht), “zukunftsfähig” (in der Studie Zukunftsfähiges Deutschland), “langfristig” bzw. “anhaltend” (im Langenscheidt-Lexikon), “tragfähig” – oder eben mit “nachhaltig” wiedergegeben. Der Begriff Nachhaltigkeit, heute eines der meist benutzten Wörter im öffentlichen Diskurs um Wirtschaft und Umwelt, hat sich also über dem Umweg der Englischen Sprache aus der “nachhaltenden” Forstwirtschaft entwickelt.

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Wahrnehmung der ökologischen Probleme Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970er Jahre und der damit einhergehenden Erkenntnis, dass diese bisher unbekannte Dimensionen angenommen haben und entsprechend auch nur international-kooperativ bearbeitet werden können, etablierte sich der Begriff der Nachhaltigkeit im Sprachgebrauch der internationalen Politik. Das Nachhaltigkeitsdenken ist nun nicht mehr auf den Forst begrenzt. Vielmehr geht es um die Suche nach einem neuen Weltsystem. Vor allem durch den Bericht des Club of Rome („Die Grenzen des Wachstums“, 1972) und der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung („Unsere gemeinsame Zukunft“, kurz Brundtland-Bericht, 1987) werden die Themenbereiche Umwelt und Entwicklung im Konzept der nachhaltigen Entwicklung verknüpft.

Gro Harlem BrundtlandBis heute wird in den meisten Publikationen zum Thema die Definition des Brundtland-Berichtes zitiert: “Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können” (2). In Folge der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (der „Erdgipfel“, 1992) avancierte der Begriff schließlich zum neuen globalen Leitbild und manifestierte sich im Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg (2002) als siebtes Millennium-Entwicklungsziel der Vereinten Nationen.

Wesentlich für den rasanten Aufstieg des Nachhaltigkeitsbegriffes war eine zentrale Erkenntnis aus der entwicklungspolitischen Diskussion. Insbesondere das Ozonloch, die Ölkrise und eine immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Industrie- und Entwicklungsländern erschütterten den Gedanken, dass letztere das westlich-industrielle Wirtschaftsmodell lediglich nachahmen müssten, um ebenfalls Wohlstand zu erreichen. Denn bereits im späten 20. Jahrhundert verbrauchten 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent aller Ressourcen. Mindestens sechs Planeten bräuchten wir also. Wir haben nur einen.

Eine “nachholende” Entwicklung erwies sich somit als nicht tragfähig und wurde folgerichtig durch das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung abgelöst. Die in das öffentliche Bewusstsein vordringende ökologische Krise war und ist auch eine Krise des vorherrschenden Industrialisierungsmodells, das auf Basis der Vorstellung von nahezu unendlich verfügbaren Ressourcen (bzw. ihrer Ersetzbarkeit durch Technologie) umweltschädigende Aspekte zugunsten des Wachstumsimperativs kaum beachte.

Doch in diesem Zuge hat der Begriff der Nachhaltigkeit eine fundamentale Veränderung erfahren. In den “Grenzen des Wachstums” ist die Rede von einer “wachstumsfreien, aber keineswegs entwicklungslosen” (3) Gesellschaft. Die auf einem Computermodell basierende Studie erzielte wesentliche Ergebnisse: Erstens würden bei unveränderter Wirtschaftsentwicklung die ökologisch absoluten Grenzen des Wachstums innerhalb der kommenden hundert Jahre erreicht werden. Zweitens sei eine Einflussnahme auf diese Tendenz und die Herstellung eines zukunftsfähigen Gleichgewichtszustandes grundsätzlich möglich. Drittens sei die Aussicht auf Erfolg höher, je früher die Menschheit versuchen würde, diesen Zustand zu erreichen.

Bereits in der Einleitung des Brundtland-Berichtes jedoch wird von “keinen absoluten Grenzen” mehr gesprochen. Vielmehr geht es nun um “dauerhaftes Wachstum” (2). Grenzen des Wirtschaftswachstums seien nur durch technologische und organisatorische Defizite gesetzt, nicht zwingend durch ökologische. Dem Bericht liegt eine optimistische Vorstellung einer Wirtschaft zugrunde, die ihre Grenzen prinzipiell überwinden und damit theoretisch unbegrenzt expandieren kann.

Hier ist, scheinbar unbemerkt, etwas Bemerkenswertes passiert. Die ökologische Balance in der Idee der Nachhaltigkeit wurde ersetzt durch einen Gedanken der Dauerhaftigkeit. Ursache und Wirkung wurden vertauscht. Bis in die 1970er gab es durchaus andere Vorstellungen einer nachhaltigen Entwicklung. Die Idee einer „Ökoentwicklung“ wurde bspw. durch ein Seminar von Umweltprogramm (UNEP) und der Konferenz über Handel und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCTAD) in Cocoyoc 1974 auf, das eine Schonung lokaler Ressourcen und eine daran gebundene Grundbedürfnisorientierung forderte. Diese Idee hatte stark Bezug genommen auf die industriell bedingten Ursachen von Umweltzerstörung, und hat diese um die für die heutige Diskussion zentralen Thesen des armutsbedingten Bevölkerungswachstums (Mangel als dessen wesentliche Ursache) und der armutsbedingten Umweltzerstörung (andauernde Armut zwingt zur Nutzung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen oder zur Landflucht) ergänzt (4).

Auch der an die Erklärung von Cocoyoc anschließende Dag-Hammerskjöld-Bericht aus dem Jahr 1975 kritisierte das bestehende, auf „Überkonsum“ aufbauende Leitbild nachholender Entwicklung und hob auch die Rolle von Herrschaftsverhältnissen und globale Ungleichheit hervor. Die neuartige Idee einer „Ökoentwicklung“ hatte also durchaus auch die „Fehlentwicklung“ der Industrieländer thematisiert.

Für das heute dominierende Konzept nachhaltiger Entwicklung des Brundtland-Berichtes spielen diese selbstkritischen Überlegungen nur noch eine untergeordnete Rolle. Aber die Entdeckung der Armut als Ursache von Umweltzerstörung ist ins Zentrum nachhaltiger Entwicklungspolitik gerückt. Armutsbekämpfung und Umweltschutz bedingen sich gegenseitig. Doch wie bekämpft man Armut in unserem Wirtschaftsmodell? Mit Wirtschaftswachstum.

Dies ist, grob skizziert, der fundamentale Konflikt, der im Leitbild der nachhaltigen Entwicklung langsam vor sich hin köchelt. Nachhaltigkeit ist nicht (mehr) ohne Bezug zu Wachstum denkbar, und dieses wiederum ist derzeit in globalem Maßstab kaum ohne einen nicht-nachhaltigen Ressourcenverbrauch realisierbar. Daher dreht sich die aktuelle Nachhaltigkeitsdiskussion in der Regel um Effizienz und Produktionsbedingungen. Aus pragmatischer Sicht ist das richtig und begrüßenswert. Es ist die derzeit einzig realistische Option auf wirkliche Verbesserung. Gleichzeitig wird das zentrale Problem unserer Zeit aber umgangen: Unser Konsummodell. In Wien werden beispielweise trotz rasant gestiegener Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln nach wie vor täglich so viele frische Lebensmittel weggeworfen, wie Graz zur Versorgung seiner Bevölkerung bräuchte (6). Dem Thema Nachhaltigkeit und Konsum wird jedoch ein eigener Beitrag gewidmet werden.

Im Konzept der nachhaltigen Entwicklung jedenfalls wurde die Natur wurde zur Umwelt, genau so wie der Wald zum Forst wurde: Sie hat ihren Eigenwert verloren und wird als Ressource reduziert auf ihren ökonomischen Wert. Es soll nicht nachhaltig gewirtschaftet werden, um die Natur zu schützen, sondern Naturschutz ist nötig, um ein dauerhaftes Wachstum zu ermöglichen (5). Ein kleiner, aber wichtiger Unterschied, der verständlich macht, warum beispielsweise das Kyoto-Protokoll lange von den USA als Wettbewerbsnachteil angesehen und abgelehnt wurde. Auf eine verbindliche internationale Klimapolitik wartet die Welt bis heute.

Daher scheint die Definition von Joachim Heinrich Campe aus dem Jahr 1809 aktueller denn je: „Nachhalt: woran man sich hält, wenn alles andere nicht mehr hält”.


(1) Grober, Ulrich 2010: Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffes, München: Antje Kunstmann.
(2) Hauff, Volker (Hg.) 1987: Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven: Eggenkamp.
(3) Meadows, Dennis et al. 1973: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
(4) Harborth, Hans-Jürgen 1993: Dauerhafte Entwicklung statt globaler Selbstzerstörung. Eine Einführung in das Konzept des „Sustainable Development“, Berlin: Edition Sigma.
(5) Sachs, Wolfgang 1999: Planet Dialectics. Explorations in Environment and Development, London: Zed Books.
(6) Wagenhofer, Erwin: We Feed The World, Allegrofilm.


6 Kommentare
Vom 12/09/2011
Von Joel

Na, endlich mal einer der mir in dieser Hinsicht aus der Seele spricht. Danke dafür.

Vom 13/09/2011
Von Hendrik

Interessante Abhandlung, sehe Du studierste auch in die Richtung, das erklärte die Schreibweise =)

“We Feed The World” ist glaube ich schon ein wenig out-dated, habe gerade letzte Woche eine Doku aus Österreich (?) zum Thema gesehen, in der es hieß das was wir an Lebensmittel in den USA & Europa in die Tonne werfen genug ist die Welt dreimal zu ernähren. “Taste The Waste” war der Name. Anyhow.

Es wird interessant sein zu sehen in welche Richtung wir gehen in Bezug auf die nachhaltigen Entwicklung – in Zeiten von Euro Krise wird ja heutzutage oft über andere Sachen hinweggesehen, und nachhaltige Entwicklung war ja oft sowieso das ungeliebte Stiefkind. Gerade in der Outdoor Branche wir hier gerne nur “heiße Luft” gemacht, wie ich finde, und das Thema totgeschwiegen.

Vom 13/09/2011
Von Fabian

Hi Hendrik! Stimmt. Ich habe meine Diplomarbeit über eine bestimmte, kritische Perspektive auf Nachhaltige Entwicklung geschrieben. :)

We Feed The World ist wirklich schon ein paar Jahre alt, aber den Vergleich mit Wien und Graz finde ich immer gut, weil er die Absurdität unserer Produktionsweise bei Lebensmitteln sehr verständlich macht (der Bezugsrahmen ist kleiner). Und die Zahlen stimmen meines Wissens nach noch.

Zur Nachhaltigkeit in der Outdoorbranche wird voraussichtlich der nächste Artikel der Serie sein. Es gibt da schon ein paar ISOs und Labels, die man positiv hervorheben kann. Aber insgesamt sind das natürlich erstmal nur Peanuts, wenn es auf der großen Bühne keine einschneidenden Veränderungen gibt (ein verbindliches Klima-Abkommen z.B.).

Danke übrigens für den Link auf Deiner Seite!

Vom 15/09/2011
Von Hendrik

Du hast Recht mit Graz & Wien, und ist in der Tat einfach nur absurd (aber es stört nur die wenigsten).

Ich habe auch ein paar Artikel in der Richtung im Drafts Folder (schon Ewigkeiten, man kommt zu nix =), bin aber gespannt was Du schreibst. Generell bin ich der Meinung das wenn ein Unternehmen zB ISO 14.001, bluesign und 1% FTP implementieren würde, das sich nicht nur finanziell für Sie auszahlen würde, aber auch der Firma ein besseres Image geben würde – und schlussendlich auch der Natur zugute kommen würde. Aber nur ganz, ganz wenige Denken auch nur dran :/

Vom 15/09/2011
Von Fabian

VAUDE ist ja dabei, im Prinzip das alles umzusetzen (nicht 1% FTP, sondern direkt an WWF, aber immerhin). Die Produktionsstätten sind ISO14001 und EMAS zertifiziert und immer mehr Produkte haben das bluesign-Siegel. Wie man das dann dem Kunden letztlich richtig kommuniziert, ist die andere Frage. Aber ich denke auch, es wird sich für VAUDE auszahlen.

Vom 11/10/2011
Von sven

Danke für diese knackige Zusammenfassung! Bin gespannt auf den (Outdoor-)Konsum Artikel!

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