EOFT: Die majestätische Plastiktüte

Vom 04/12/2011
7 Kommentare

Die meisten werden es wissen: Die European Outdoor Film Tour (EOFT) ist derzeit wieder in ganz Europa unterwegs und zeigt zehn der besten Outdoor-Kurzfilme des letzten Jahres. Von Slacklinen bis Snowboarden und von Dramatik bis purer Action ist alles im Programm. Aber insbesondere eine kurze Mockumentary, die neben Hochkarätern wie “The Art of Flight” oder “Life Cycles” etwas untergeht, verdient mehr Aufmerksamkeit.

Moment. Eine kurze Mocku-was verdient mehr Aufmerksamkeit? Mockumentaries sind als Dokumentarfilme aufgemachte Parodien, die eine reale Entwicklung oder einen realen Sachverhalt in Form einer fiktiven Dokumentation scherzhaft kommentieren. “The Majestic Plastic Bag” zeigt das Leben der gemeinen Plastiktüte, einem Lebewesen, dass mittlerweile fast überall heimisch geworden ist.

Der Film führt sehr humorvoll in den täglichen Überlebenskampf des Plastiktütenmännchens ein (oder ist es vielleicht doch ein Weibchen? Nur echte Plastikologen können zwischen den Geschlechtern von Plastiktüten unterscheiden). Die ersten Szenen zeigen ein besonders schönes Exemplar in seiner natürlichen Umgebung – einem Park – bei der Nahrungssuche und auf der Flucht vor seinen Fressfeinden, den Reinigungskräften. Doch immer öfter sind auch unschöne Bilder mit Müll und Abwasserkanälen zu sehen. So wird dem Zuschauer schnell klar, das zwar gelacht werden soll – aber dass das dem Film zugrunde liegende Thema eher eines zum Weinen ist.

The Majestic Plastic Bag

Fleecepullis aus PET-Flaschen: Plastik in der Outdoorbranche

Für die Outdoorbranche ist Plastik quasi eine Existenzgrundlage. Fast jede Funktionskleidung besteht zu großen Teilen aus Polyamid oder Polyester, die Vorteile von Kunst- gegenüber Naturfasern sind bekannt. Da Plastik hier also unverzichtbar ist, versuchen viele Hersteller Recycling-Material zu verwenden, um ihre Umweltbilanzen zu verbessern. Ob VAUDE oder Patagonia, viele Outdoor-Marken haben bspw. Fleecepullis aus recycelten PET-Flaschen in ihrer Kollektion. Die gebrauchten Flaschen werden hierfür zunächst gesammelt und zermahlen. Das so produzierte Granulat wird geschmolzen und zu einer Faser gesponnen. Ein Fleece aus recycelten PET-Flaschen ist insgesamt rund 50% weniger umweltschädlich als ein herkömmliches.

Aber wie so oft ist die gute Nachricht von Recycling-Fleecepullis nur die halbe Wahrheit. Denn der Meeresbiologe Mark Browne vom University College in Dublin hat festgestellt, dass ein Fleecepulli pro Waschgang bis zu 2000 Kunststofffasern verliert. Diese Mikrofasern aus Plastik entkommen den Kläranlagen und landen in den Weltmeeren – und werden dort womöglich Teil der Nahrungskette.

Die Geschichte von Plastik, die hinter “The Majestic Plastic Bag” steckt, ist eigentlich schnell erzählt. Beginnen wir von vorne:

Das Erdölzeitalter ist ein Plastikzeitalter

Wir leben im Erdölzeitalter. Das nicht nur unsere Wirtschaft, sondern unsere ganze gesellschaftliche Mobilität als Grundlage unserer Lebensweise, von fossilen Brennstoffen abhängig ist, wissen alle. Auch die Konsequenzen dieser Lebensweise sind bekannt: Der Klimawandel wird regelmäßig in den Medien thematisiert und seit Jahren reden sowohl Wirtschaft als auch Politik plötzlich einvernehmlich von der Wichtigkeit von Umweltschutz. Aber viele sind sich weniger bewusst darüber, dass das Erdölzeitalter gleichzeitig ein Plastikzeitalter ist.

“Überall auf der Erde werden Menschen in Zukunft Plastik vorfinden, denn Plastik verrottet nicht“, sagt Charles Moore von der Algalita Marine Research Foundation. Obwohl tendenteill immer höhere Recycling-Raten erreicht werden (die insgesamt allerdings unter 5% liegen), steigt der absolute Plastikverbrauch nach wie vor enorm. Und das hat Folgen. Plastik ist überall. In Verpackungen, Kleidung und in Lebensmitteln. Und in uns. Wir nehmen es jeden Tag über die Haut und über die Nahrung auf. Selbst in vermeintlich isolierten indigenen Völkern sind Plastikteilchen mittlerweile im Blut nachweisbar. Denn Plastik verrottet nicht. Der Mensch hat einen Stoff geschaffen, den die Natur nicht verarbeiten kann. Was das für Konsequenzen für uns und die Umwelt haben wird, haben wir noch nicht einmal begonnen zu verstehen.

In seinem sehr sehenswerten Film “Plastic Planet” zeigt der Filmemacher Werner Boote, dass bspw. die steigende Rate an menschlicher Unfruchtbarkeit mit Plastik zu tun haben könnte. Boote zeigt auch, dass die Plastiktüte für die globale Umweltverschmutzung eine entscheidende Rolle spielt: “Jährlich werden 600 Milliarden Plastikbeutel hergestellt und weggeworfen […] Insgesamt 80 Prozent des Kunststoffmülls, die UNO spricht von weltweit jährlich rund 6 Millionen Tonnen, gelangen über Flüsse in die Ozeane.” Schockiert? Es wird noch “besser”: Der Spiegel zitiert die Schätzung der Meeresschutzorganisation Oceana, das weltweit ungefähr 675 Tonnen Müll ins meer geworfen werden – stündlich! Die Hälfte davon ist Plastikmüll. Laut einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und Greenpeace treiben in jedem Quadratkilometer der Ozeane bis zu 18.000 Plastikteilchen.

Fische, Säugetiere und Vögel verwechseln das Plastik, vor allem Flaschendeckel, mit Nahrung. Sie fressen und verfüttern es an ihre Kinder. In seinem TED-Talk zeigt Charles Moore bspw. Fotos von verendeten Albatross-Küken, in deren Mägen nach der Obduktion Unmengen an Plastik gefunden wurden. Bei einer Studie des niederländischen Forschungsinstitut Alterra wurden 600 tote, an Nordseeküsten angeschwemmte Eissturmvögeln untersucht – und festgestellt, dass über 95% von ihnen unverdauliche Abfälle gefressen hatten. In einem besonders schlimmen Fall hatte das Plastik im Magen des Tieres unglaubliche 80% des Körpergewichts ausgemacht.

Plastik ist überall. Vom Äquator bis zu den Polen, als Reste von Verpackungen und Kleidung. Allein in den USA werden alle fünf Minuten zwei Millionen Plastikflaschen verbraucht.

Eine der Folgen davon ist der große pazifische Müllteppich (besser bekannt als “Great Pacific Garpage Patch”). Ein Gebiet mit einer besonders hohen Konzentration an menschlichen Abfällen so groß wie Zentraleuropa, mitten im Pazifik. Dieser Teppich, der aus mehr als 100 Millionen Tonnen Kunststoffmüll besteht, treibt zwischen Nordamerika und Asien im Nordpazifikstrudel. Für dieses Gebiet werden nicht 18.000, sondern eine Millionen Plastikteilchen pro Quadratkilometer geschätzt – und hier gibt es sechs mal mehr Plastikteilchen als Plankton.

Durch Sonneneinstrahlung und Wellenreibung wird das Plastik bis auf seine Kleinstteile zerrieben. Was übrig bleibt ist eine Art Plastikpulver, das sich im Ozean wie Milliarden kleiner Giftschwämme verhält: “Forscher der Universität Tokio haben an der Oberfläche von Pellets Giftkonzentrationen gefunden, die bis zu einer Million Mal höher sind als das sie umgebende Wasser. Über die Nahrungskette reichern sich diese Gifte auch in Fischen an, die wiederum auf unseren Tellern landen”, ist auf der Infoseite zu Plastic Planet zu lesen.

Egal ob Plastikverschmutzung oder Klimawandel: Beides sind direkte Folgen des Erdölzeitalters – und beides sind Probleme, deren Folgen uns womöglich noch in Jahrhunderten beschäftigen werden, selbst wenn wir von heute auf morgen vollständig aufhören würde, Plastik zu produzieren oder CO2 auszustoßen.

Wie konnten wir diesen Irrsinn zulassen?

Ein wichtiger Grund ist, dass durch die Globalisierung Produktion, Konsum und Verwertung räumlich voneinander getrennt wurden. Wer von uns weiß schon, dass bereits hinter jedem Erdbeerjoghurt 8000 LKW-Kilometer stecken? Menschen in den Industrieländern erleben nahezu ausschließlich die Vorzüge der globalisierten Industrie. Wir leben in einer Konsum-Blase, einer fiktiven Wohlfühl-Oase. Alles, was wir hier tun, ist konsumieren. Wir konsumieren, bis wir grün und blau werden. Aber was es für Mensch und Umwelt tatsächlich bedeutet, ein Produkt industriell herzustellen – und vor allem: es zu entsorgen, wissen nur noch die wenigsten von uns. Die fatalen Folgen der industriellen Produktion sind zum großen Teil in Entwicklungs- und Schwellenländer ausgelagert. Gerade arme Menschen in Entwicklungsländern leben in diesem Sinne das genaue Gegenteil von uns: Sie produzieren und verwerten unsere Konsumgüter mit allen Konsequenzen.

Doch unsere gemütliche Oase beginnt auszutrocknen, denn die Umweltprobleme unserer Zeit sind nicht mehr lokal begrenzt. Es sind globale Probleme, die uns alle betreffen.

Das Erdölzeitalter ist das Zeitalter des Plastik. Das Plastikzeitalter ist das Zeitalter des Massenkonsums. Und diese Wegwerf-Gesellschaft gehört in den Müll. Hoffentlich ist sie im wahrsten Sinne des Wortes der letzte Dreck, den wir nicht recyclen.


7 Kommentare
Vom 05/12/2011
Von sven

Danke für diesen Artikel!

Vom 05/12/2011
Von Fabian

Danke an die EOFT, dass sie den Film gezeigt haben… ;)

Vom 05/12/2011
Von Karsten

Interessanter und erschreckender Bericht! Das mit dem Jogurt kannte ich, das ist schon verrückt genug, aber das “Great Pacific Garpage Patch” ist wirklich krass.

Vom 06/12/2011
Von sven

Es ist endlich an der Zeit, dieses leidige Thema der breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen.

Ich finde es sehr schön, daß die Outdoor-Szene, noch vor vielen anderen “Szenen”, hier quasi eine Vorreiterrolle einnimmt, sei es durch Artikelserien wie hier, durch Filme auf sonst doch actionlastigen und “coolen” Events wie EOFT, aber auch in den “Hinterzimmern” der Designer der Hersteller.

Wenn wir es schaffen, Nachhaltigkeit als “cool” zu platzieren, ist viel gewonnen!

Vom 06/12/2011
Von Fabian

Ja, und um das zu erreichen muss Nachhaltigkeit unbedingt mehr nachgefragt werden, so absurd das klingt. Und die Konsumenten müssen meiner Meinung nach gerade in der Outdoorbranche sehr empfindlich auf Greenwashing reagieren.

Vom 07/12/2011
Von Matthias

Ich musste euren Artikel jetzt zum dritten Mal lesen, der ist einfach klasse geschrieben! Sollte zum Schulstoff ab der 5. Klasse gemacht werden – prima!

Vom 07/12/2011
Von Fabian

Hey Matthias, danke dir! Ich werde in Zukunft in ein paar mehr Artikeln auf solche Themen eingehen, vor allem auf alternative Materialien wie Bambus, Tencel, Hanf oder auch Proteinfasern. Den Anfang wird wohl ein kleiner Vergleich von wasserdichten Membranen machen (Goretex, Sympatex usw.), denn das ist ja zum Großteil auch letztendlich Plastik, wenn auch anders verarbeitet – aber gleichzeitig vermeintlich unverzichtbar für die Outdoorbranche.

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