Outdoor und Nachhaltigkeit (3) – Rio +20

Vom 21/06/2014
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Outdoor & NachhaltigkeitDie Neuauflage des “Erdgipfels” Rio 20+ scheint gescheitert bevor sie überhaupt erst begonnen hat. In einer Nachtschicht haben die teilnehmenden Nationen ein Abschlussdokument schon vor dem eigentlichen Beginn der Verhandlungen verabschiedet. Jetzt soll die Wirtschaft den Karren aus dem Dreck ziehen: Eine neue “Green Economy” soll uns aus der Krise führen. Können Unternehmen die Welt retten?

Über hundert Regierungs- und Staatschefs aus der ganzen Welt sind nach Brasilien gereist um zwanzig Jahre nach dem heute legendären “Erdgipfel”, der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development; UNCED) 1992, sich erneut gemeinsam über unsere Köpfe hinweg über die Zukunft die Köpfe zu zerbrechen. Damals erschien mit dem Brundtland-Bericht ein bahnbrechendes Dokument, das Politik und Wirtschaft bis heute prägt und den Begriff der Nachhaltigkeit mitten in die Gesellschaft katapultierte. Und heute?

Man muss kein Zyniker sein, um schon im Voraus lediglich mit leeren Versprechungen und hohlen Floskeln zu rechnen. Immerhin: Wer nichts erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden. Nach der Lektüre der ersten Bilanzen, die in allen großen Zeitungen schon die Titelseiten schmücken, wird schnell klar: Auf die internationale Politik ist in Sachen Umweltschutz kein Verlass. Sie ist zahnlos. Trotz aller Bekundungen in den letzten Jahrzehnten zum Schutz der Artenvielfalt „hat Europa beispielsweise die Hälfte der einst vorhandenen Vögel der Agrarlandschaft verloren“.

Das Scheitern der internationalen Politik

Und trotz Kyoto, Agenda 21 und anderen Protokollen für die Förderung der Nachhaltigkeit ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre über den als kritisch angesehenen Wert von 400 ppm (Teilchen pro Millionen) angestiegen. Die Meere versauern, die Böden versanden. Die Menschheit wird 2030 im Schnitt doppelt so viel Ressourcen verbrauchen, wie die Erde nachhaltig zur Verfügung stellt. Wir werden dann nicht einen, sondern zwei Planeten benötigen (US-Amerikaner benötigen heute bereits sechs). Und schon jetzt ist klar das eines der wichtigsten Ziele der Konferenz, der Umbau des UN-Umweltprogramms UNEP zu einer vollwertigen (lies: teureren) UN-Organisation, nicht erreicht werden wird.

Zumindest scheinen sich auch die teilnehmenden Nationen dieses Scheitern leise eingestanden zu haben. Denn der vermeintlich neue Weg in eine nachhaltigere Zukunft geht nach dem Abschlussdokument nicht über international verbindliche, strenge Umweltauflagen und -regime, sondern über eine grüne Wirtschaft. So schreibt der Spiegel: “Der internationale staatliche Natur- und Klimaschutz ist grandios gescheitert. Es wäre fahrlässig, weiter auf ihn zu setzen.

Ein Stichwort ersetzt das andere. „Nachhaltigkeit“ ist, gemessen an den 1992 entwickelten Ideen, ein grandioser Fehlschlag (siehe: „Earth Summit Report Card“) – und „Green Economy“ klingt schon vom Namen her vielversprechend nach der eierlegenden Wollmilchsau. Vor 20 Jahren kreisten die Debatten zumindest teilweise noch um weniger Wachstum, Grenzen des Wachstums oder andere Formen des Wachstums, heute soll Wachstum einfach die Welt retten.

Wirklich überraschend ist das nicht. Ein wirkliches Umdenken hatte auch nachhaltige Entwicklung im Kern nie gefordert, denn auch hier werden ökologische und soziale Probleme versucht mit den Methoden zu lösen, die sie geschaffen haben. Ressourcen unterliegen einem der wesentlichen dem Prinzipien der klassischen Nationalökonomie: der Knappheit. Diese Knappheit kann innerhalb dieses Theorems nur durch Wachstum überwunden werden. Aus diesem Grundverständnis heraus ist nachvollziehbar, wieso sich die an Rio anschließenden Diskussionen nicht um die gesellschaftlichen Naturverhältnisse drehten, sondern um Effizienz. Never change a running system.

Die Welt grün konsumieren?

Nun sollen sich Umweltschützer also in Zukunft nicht nur mit der Bundesregierung, der EU oder der UN beschäftigen, sondern zusätzlich mit BP, Coca Cola oder Nestlé. Dieser Schritt erfordert ein Umdenken alle Beteiligten. Insbesondere aber die Rolle von Unternehmen muss grundsätzlich überdacht werden. Die Idee, ökologische Probleme über die globale Wirtschaft zu lösen, ist jedoch keinesfalls neu.

Ernst-Ulrich von Weizsäcker veröffentlichte 1995 eines der bekanntesten Beispiele für den Versuch der Vereinbarung von Ökonomie und Ökologie. In „Faktor vier“ wurden Konzepte wie die Ökosteuer oder Effizienzrevolutionen angedacht. Für Weizsäcker war klar, dass der Weg einer nachhaltigen Entwicklung nur dann erfolgreich begangen werden könnte, wenn in der Wirtschaft die tatsächlichen Preise der Produkte gehandelt werden würden – also auch die vom Produkt durch Produktion, Konsum und Entsorgung verursachten Umweltkosten mit bezahlt werden müssen. Eine konkretere Konzeptualisierung dieses Ansatzes blieb jedoch aus.

Das hat sich nun geändert. Ein zentrales Konzept in Rio +20 ist das der Ökosystem-Dienstleistungen. Hinter dieser Idee steckt zunächst nichts anderes als der Versuch allen natürlichen Dienstleistungen, wie die Bereitstellung sauberer Atemluft, sauberen Trinkwassers, fruchtbaren Bodens etc., einen Wert zuzuschreiben. Wälder, Korallenriffe, Sümpfe und Gletscher bekommen so neben ihrem ökologischen auch einen ökonomischen Wert. Anhand dieses Wertes kann mit komplizierten Rechnungen dann kalkuliert werden, welchen negativen Einfluss ein jedes Produkt auf diese Dienstleistungen hat. Wer sogenanntes Naturkapital nutzt, soll dafür zahlen. Wer es hingegen freiwillig schützt, soll dafür belohnt werden. Auf diese Weise sollen langfristig Kostenanreize geschaffen und eine ökologische Wirtschaft ökonomisch lukrativ gemacht werden.
Unternehmen sollen nun so detailliert wie möglich die ökologischen Fußabdrücke ihrer Produkte berechnen und dieses so weit wie möglich verringern. Die Green Economy soll ihnen dafür Planungssicherheit bieten. Der Spiegel schreibt weiter, der Wirtschaft sei daran gelegen, „sich langfristig und nachhaltig den Zugang zu Ressourcen zu sichern. Oftmals haben gerade privatwirtschaftliche Firmen jene langfristigen Zeithorizonte, die der Natur- und Klimaschutz braucht“.

Dieser Satz steht sinnbildlich für den Optimismus, den dieses Konzept benötigt. Von der unfreiwillig sarkastischen Verwendung des Wortes „nachhaltig“ in diesem Zusammenhang einmal abgesehen: Ist es nicht die gleiche Wirtschaft, der wir noch vor kurzem gnadenlos kurzfristiges Shareholder-Value denken und die rücksichtslose Vergötterung von Quartalsberichten vorgeworfen haben?

Kleine Schritte

Letztendlich steht Rio +20 für resignierenden Pragmatismus. Es ist das Eingeständnis, dass mit großen Ideen höchstens kleine Veränderungen erreicht werden können – und gleichzeitig der Versuch, mit kleinen Ideen möglichst große Verbesserungen zu realisieren. Und so sucht man nach dem Verursacher- oder dem Vorsorgeprinzip im Abschlussdokument vergebens, dafür jedoch ist die Rede von Wachstumsimpulsen durch eine ökologische Modernisierung.

Eine grüne Ökonomie im Sinne von Cap & Trade und einer preislichen Berücksichtigung von Ökosystemdienstleistungen ist demnach die beste schlechteste Lösung, die wir derzeit haben. „Wenn Ressourcen effizienter genutzt werden, die Wirtschaft aber weiter wächst, wird das Wachstum die Einsparungen überkompensieren. Das ist wahrscheinlich, weil die wachsende Effizienz selbst das Wirtschaftswachstum antreibt.

Mit anderen Worten: Adam Smiths berühmte unsichtbare Hand des Marktes bekommt nun einen grünen Daumen. Es ist die Abkehr von großen Umwelt- und Klimaschutzzielen der Politik und der Griff nach dem letzten Strohhalm; aus Plastik, mit Coca-Cola Nachgeschmack und in McDonald’s-Farben. Die unsichtbare Hand ist und bleibt eben eines: unsichtbar. Oder?

Im zitierten Spiegel-Artikel wird schließlich Bezug auf die berühmte Patagonia-Kampagne genommen. Mit dem ungewöhnlichen Slogan „Kauft diese Jacke nicht“ versuchten die Kalifornier vor einigen Monaten über die Umweltauswirkungen ihrer Funktionsjacken aufzuklären. Eine so geniale wie ironische Werbekampagne. Am ökologischsten sinnvoll wäre es natürlich, Modetrends zu durchbrechen und davon Abstand zu nehmen, jedes Jahr neue Kollektionen produzieren zu müssen und sich stattdessen auf wenige, langlebige Produkte zu konzentrieren. Ökonomisch wäre das jedoch der Untergang des Unternehmens.

Und weiter: Outdoor-Ausrüstung ist teuer. Würde alles beanspruchte Naturkapital ebenfalls in die Preise mit einfließen, würden diese selbstverständlich weiter steigen. Angesichts der aktuellen Preissituation in der gesamten Branche wird dabei das grundsätzliche Problem der Green Economy sichtbar: Sie ist in ihren Anfängen (nicht langfristig) abhängig von Konsumenten, die sich ökologisch produzierte Produkte leisten können und wollen. Ob diese Strategie also krisenfest ist, darf bezweifelt werden.

Was also tun?

Erst haben wir die Probleme regelrecht herbeikonsumiert, und nun sollen wir sie wegkonsumieren. Das ist verwirrend, zugegeben. Also bleibt zunächst nur eines: Entscheidungen treffen. Muss es wirklich schon wieder eine neue Jacke, der dritte Windstopper, die siebte Hose sein? Falls ja, gib es immerhin zunehmend echte Alternativen. Die Tettnanger Firma VAUDE beispielsweise ist seit kurzem klimaneutral – als erstes Unternehmen der Outdoorbranche. Das macht Hoffnung, denn es weist den kurzfristig richtigen Weg in die Zukunft: Grüne Entscheidungen treffen. Wer neue Wege gehen will, muss alte Pfade verlassen. Für VAUDE mag das bedeuten ein Selbstverständnis als „Öko-Trendsetter“ zu entwickeln und in ihrem Rahmen das Möglichste für eine grüne Ökonomie zu tun.

Für uns Konsumenten mag es bedeuten Unternehmen, die diese neuen Wege gehen, nach unseren Möglichkeiten zu unterstützen. Wir sollten uns entscheiden, lieber auf neuen Wegen zu stolpern, als auf alten Pfaden auf der Stelle zu treten. All das ersetzt sicherlich kein internationales Umweltabkommen, und irgendwann werden wir auch über ein alternatives Wirtschaftsmodell nachdenken müssen. Aber wir können es uns nicht leisten länger zu warten.

Wir müssen das Heft in die Hand nehmen. Wir müssen endlich beginnen ökologischere Entscheidungen treffen. Wir müssen Öko-Trendsetter werden.


1 Kommentar
Vom 25/06/2012
Von Elena

Von heute auf morgen kann das Problem von Natur- und Klimaschutz natürlich nicht gelöst werden. Die Idee, Produkte noch teurer zu machen macht auch keinen Sinn. Leute werden nach anderen Lösungen suchen, die wieder zur Verschmutzung und dem ungeregelten Ausnutzen von Ressourcen herbeiführen werden. Kurzfristige Ziele zu setzen und sie zu erreichen würde aber schon etwas bringen, sowie strengere Regeln und Strafen für Unternehmen, deren Tätigkeit die Natur belasten.

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